Wiesn-Trikots oder Die Lächerlichmachung des Sports

Über Jahrzehnte hinweg war es einfach nur ein Schmähgesang, wenn auch ein besonders gern gesungener:

„ZIEHT DEN BAYERN DIE LEDERHOSEN AUS, Lederhosen aus, Lederhosen aus!“

Und dann, mit einem Mal, ging das wirklich. Plötzlich konnte man ihnen ihr liebstes Kleidungsstück nicht nur im übertragenen Sinne vom Leibe reißen, sondern buchstäblich. Weil irgendein besonders pfiffiger – will sagen: geschäftstüchtiger – MarketingMerchandisingMonetarisierungsMitarbeiter auf die bahnbrechende Idee gekommen war, eigens zur „Wiesn“ (für nicht Freistaatler: zum Oktoberfest) eine Trikotkollektion auf den Fan-Markt zu werfen.

Ein Spanier in Ledertracht: „Habe die Ehre“

So gab es nicht länger nur das Heimtrikot, das Auswärtstrikot – beim USA-orientierten Weltklub von der Säbener Straße gerne auch „Away“-Trikot genannt – und das Champions-League-Trikot, sondern auch das Wiesn-Trikot. Mit großem Promi-Aufmarsch wurde die Bekleidungslinie im Herbst 2013 vorgestellt. Was dann u.a. dazu führte, dass ein peinlich berührter Spanier (Javier Martinez) in einem Trainingsanzug im Trachtenlook zum Medientermin kam und Sätze wie „Habe die Ehre“ stammelte. Jedenfalls liefen die Bayern während der Wiesn-Wochen mit Trikothosen im braunen Lederlook auf. Echtes Leder war’s gleichwohl nicht. Das hätte die Geschmeidigkeit der Bewegungen des kickenden Edel-Personals dann doch beeinträchtigt. Aber immerhin konnte man Schweini & Co. etwas ausziehen, dass zumindest aussah wie eine Krachlederne.

Gerechte Strafe für die Löwen: Noch nie in Tracht gewonnen

Nun muss ich zu meiner journalistischen Schande gestehen, dass ich nicht weiß, ob der ruhmreiche FC Bayern oder gar der unwesentlich weniger ruhmreiche TSV 1860 München zuerst auf die Tracht gekommen ist. Immerhin spielen die „Löwen“ heuer (für nicht Freistaatler: in diesem Jahr) bereits zum dritten Mal nach 2012 und 2013 im Wiesn-Outfit, wobei das Trikot aussieht, als habe jemand eine Tischdecke von der Theresienwiese recycelt. Die gerechte Strafe für derlei Geschmacklosigkeiten: Gewonnen haben die Sechziger in ihren Oktoberfest-Kostümen noch kein einziges Spiel.

1860

(Screenshot http://www.abendzeitung-muenchen.de)

Was die Kicker können, können die Kufencracks schon lange

Was die Kicker können, können wir schon lange – dachten sich in München dann auch die Verantwortlichen des DEL-Klubs Rasenballsport München. Der aktuelle Tabellenführer, mit österreichischen Brausemillionen personell zum Titelanwärter aufgepumpt, hat auf den Trikots – und da wird die Lächerlichmachung des Sports dann endgültig auf die Spitze getrieben – auch noch stilisierten Latz und Hosenträger zur Lederhose. Deutsche Volkstümelei und so-called „Brauchtumspflege“, zur Schau getragen von Wander-Profis, die vornehmlich aus Nordamerika kommen. Wobei man im Fall des DEL-Klubs als mildernden Umstand anführen darf, dass die weiß-blauen Tischdecken-Trikots immerhin hübscher sind als die eigentlichen mit den beiden roten Stieren auf der Brust. Das ändert freilich alles nichts daran, dass der Urvater (oder wahlweise die Urmutter) des Trachtentrikots eine ordentliche Tracht Prügel verdient hat.

DEG

(aus: NRZ Düsseldorf)

Und demnächst: Das Schützen- oder Fischmarkt-Trikot

Konsequent zu Ende denken darf man das alles natürlich nicht. Nachdem einige Klubs, darunter auch der BVB, sich in der Vergangenheit bereits an Winter-, Advents- oder Weihnachtstrikots heran gewagt und solche Experimente inzwischen weitestgehend wieder eingestellt haben, könnte der 1. FC Köln ja zum Start der Bundesliga-Rückrunde zwecks Traditions- und Brauchtumspflege im Narrenkostüm mit Pappnase auflaufen. Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 könnten ja, weil Westfalen gerne Schützenfest feiern, demnächst im grünen Rock mit Orden und Dienstgrad-Abzeichen Eindruck schinden. Dem HSV würde ein Matrosen- oder Fischmarkt-Dress ganz sicher prima stehen – und was der Reeperbahn-Klub FC St. Pauli auf seine Leibchen drucken lassen könnte, darf in diesem FSK0-Text nicht weiter ausgeschmückt werden. Leichter hat’s da ohnehin der SC Paderborn: Der Klub aus der erzkatholischen Bischofsstadt kann sich bei der Motivwahl am Kirchenjahr orientieren. Wobei: Vor Ostern mit dem gekreuzigten Jesus oder vor Weihnachten mit Jesus in der Krippe aufzulaufen, wird auch nicht jedermanns Geschmack sein.

Auch ein Mode-Fan muss nicht jede Mode mitmachen!

Mal wieder im Ernst, ihr Vermarkter, ihr Den-Fans-auch-noch-den-letzten-Cent-aus-der-Tasche-Zieher: Erspart uns diesen Mist! Fußball ist Fußball ist Fußball. Und nicht Kirmes. Oder Zirkus. Oder Karneval. Und auch kein Oktoberfest. Jeder halbwegs ernst zu nehmende Fan wird diese limitierten „Sonder“-Trikots ohnehin nicht anfassen. Und allen Mode-Fans sei gesagt: Man muss nicht jede Mode mitmachen! Wenn eure Klubs sich also schon lächerlich machen, macht ihr euch nicht auch noch selbst zum Kasper!